Zeitschrift
GOTTGEWEIHT
Jahrgang 23, 2010
Heft 3
Aus dem Inhalt:
Ildefons M. Fux, Die Entrüstungs-GesmbH.
Gertrud von le Fort, Aus den Hymnen an die Kirche
Hans Hermann Card. Groër, Vor dem Priestertum
Maria Admirabilis Surzitza, Er in mir und ich in ihm
Ildefons M. Fux, Caritas Pirckheimer
Altdeutsche Herz-Jesu-Gebete
Nachrichten
Für Sie gelesen
SIC ERUO
Nicht alle haben in ihrer Schulzeit Latein gelernt, deshalb sei die Überschrift hier übersetzt: „So entreiße ich“, oder: „So errette ich“. Das Spruchband des Titelbildes verweist auf den Kampf des jungen David mit Löwen und Bären (1 Sam 17,35). Während der Bär im linken Bildhintergrund bereits „erledigt“ ist, ist der Kampf mit dem Löwen voll im Gange. Wenn ein Löwe kam und ein Lamm aus der Herde wegschleppte, lief ich hinter ihm her, schlug auf ihn ein und riss das Tier aus seinem Maul.
Man sieht den Hirtenstab des Unerschrockenen auf dem Boden liegen. Zwei weitere Hirtenstäbe kreuzen einander hinter der Darstellung des Herzens Jesu, des Guten Hirten, der nicht resigniert, sich nicht zurückzieht, sondern, seiner selbst nicht achtend, alle seine Möglichkeiten ausschöpft, um den gefährdeten Sünder zu retten. Zu suchen und zu retten ist er ja gekommen, gerade jene auch, die schon vom Rachen des „Höllischen Löwen“ halb verschlungen sind. Der Gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe (Joh 10,11), - auch wenn diese sich aus Dummheit oder Stolz leichtfertig der Gefahr ausgesetzt haben. Diesen unbedingten Rettungswillen des Herzens Jesu gilt es anzubeten und von ihm zu lernen.
Auferstanden ist der Gute Hirt.
Er gab sein Leben für seine Schafe.
Er ist für seine Herde gestorben.
Ildefons M. Fux OSB
DIE ENTRÜSTUNGS-GesmbH.
oder über Macht und Notwendigkeit christlicher Güte
Im Lärm ist schlecht denken, und doch scheint Besinnung notwendiger denn je. Das Wort der Schrift möge uns dabei Hilfe sein das Wahre und das Gute zu erkennen.
1. Jeschua
An wenig bekanntem Ort des Alten Testamentes, im Buch des „kleinen“ Propheten Sacharja (Kap. 3), findet sich die Schilderung einer Vision, die einer Demaskierung Satans gleichkommt. Der Leser erkennt: Dessen Wesen ist Anklage. Der Prophet schaut den Hohenpriester Jeschua, dem der „Engel des Herrn“ gegenübersteht. Neben Jeschua aber hat der Satan seinen Platz gefunden, und er ist hier, um den Gesalbten des Herrn anzuklagen. Der Grund für seine heftigen und andauernden Vorwürfe: Jeschua trug Kleider, die beschmutzt waren. Ist es ihm um die Heiligkeit des Tempels oder um die Reinheit der Liturgie zu tun? Geht es ihm um menschliche oder religiöse Würde? Der Engel des Herrn stellt die Befleckung des priesterlichen Kleides keineswegs in Abrede, doch tritt er dem Ankläger energisch entgegen: Der Herr weise dich in Schranken, Satan! Ja, der Herr gebiete dir Einhalt! (vgl. Sach 3,2). Er durchschaut den Ankläger, der schlicht und einfach die Entfernung Jeschuas anstrebt. Schon klingt das zornig-bestimmte Fordern des Karfreitags an: Weg mit diesem! (Lk 23,18). Da befiehlt der Engel den zahlreichen, die Szene umringenden himmlischen Dienern: Zieht ihm die schmutzigen Kleider aus! Und zu Jeschua gewandt spricht er: Hiermit nehme ich deine Schuld von dir und bekleide dich mit festlichen Gewändern. Nun wird von ihm gelten, was später von einem anderen Hohenpriester gesagt werden wird: Wie herrlich war er, wenn er die Prachtgewänder angelegt und sich mit allem Schmuck bekleidet hatte, wenn er emporstieg zum erhabenen Altar … (Sir 50,11).
2. Ijob
An anderer Stelle der Hl. Schrift wird ein mit der Anklagesucht verwandter Charakterzug Satans offenbar: die Aussaat des Misstrauens. Er ist ein Meister des Argwohns1. Der Teufel kann zwar Ijob keine vergangenen Verfehlungen vorwerfen, doch zieht er die Tugend dieses Mannes, dem nach dem Urteil Gottes keiner an Rechtschaffenheit gleichkommt (Ijob 1,8), in Zweifel: Allzu leicht sei es ihm ja gemacht worden, Gott zu fürchten und das Böse zu meiden. Doch in den schmerzlichsten Prüfungen sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen (Ijob 2,10). Die gnadenlose Härte der Anklage, die Nicht-Anerkennung des Guten begleitet das Wirken Satans in der Geschichte; die Härte dieses Kalten2spiegelt sich wieder in der Hartherzigkeit derer, die – wissentlich/unwissentlich – in seinen Dienst getreten sind.
So wird der unbeschreibliche Jubel der Himmlischen über den rettenden Sieg verständlich, denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte (Offb 12,10). Dort freilich, wo der Herrscher dieser Welt (Joh 14,30) noch Einfluss hat, bleibt er sich treu: Er klagt an, er verklagt, er beschuldigt, er verleumdet, er verlangt Verurteilung, er stellt bloß, er mordet den guten Ruf, er ist die Entrüstung in Person, denn seine Wut ist groß (Offb 12,12).
3. Die Ehebrecherin
Dieses sein „Hintergrundprogramm“ ist auch in der Szene mit der Ehebrecherin im Tempel zu sehen, die die Pharisäer zu Jesus bringen, damit er sie verurteile (Joh 8,1-11). Sie dringen hartnäckig auf den Herrn ein, wollen sie doch ihn selbst „verklagen“, wenn er sich auf einen Dialog mit ihnen einlässt. Doch weist Jesus sie auf einen nun unbedingt zu berücksichtigenden Umstand hin, auf ihre eigene Sündhaftigkeit. Wer von euch ohne Sünde ist … (v.7). Anklage kann ja nur dort wachsen, wo auf eigene Schuld und auf das Angewiesen-Sein auf das Erbarmen Gottes vergessen wird. Haben sie alle, die sich so viel auf ihre Schriftkenntnisse zugutehalten, denn nie gelesen, dass Gott nicht den Tod des Schuldigen will, sondern dass er umkehrt und lebt (vgl. Ez 33,11)? An die Brust anderer klopfen, - da fühlt man sich selber gleich viel besser, man bemerkt dann gar nicht mehr den Balken im eigenen Auge (vgl. Mt 7,4) und vergisst, dass es größere Sünden gibt als jene geschlechtlicher Art. Es sind die Sünden des Hochmuts und des Unglaubens.
Nie und nimmer wird man Jesus vorwerfen können, er hätte die Sünde bagatellisiert oder minimalisiert, beschönigt oder „unter den Teppich gekehrt“, doch seine Sendung ist es zu sühnen und zu heilen; nicht den Stab zu brechen, vielmehr zu suchen und zu retten, was verloren war. Deshalb schließt auch die Szene mit der Ehebrecherin nicht mit Entrüstung, sondern mit dem Wort göttlichen Erbarmens: Geh hin und sündige von jetzt an nicht mehr!
4. Wut und Sünde
Ich bin wütend, Gott! Freilich meint der so Sprechende nicht sich selbst. Der Demütige würde sich über niemanden beklagen, außer über sich selbst 3. Es wäre ja äußerst erbärmlich, seine eigenen Sünden außer Acht zu lassen und sich geschäftig mit den Sünden der Mitmenschen zu beschäftigen4. Je mehr sich einer der Wahrheit über sich selbst öffnet, desto besser wird er sich das Wort des hl. Paulus aneignen können, der von sich sagte, unter den Sündern sei er der größte (vgl. 1 Tim 1,15).
Ich bin wütend … Niemals wäre ein solches Wort über die Lippen Mariens gekommen, auch nicht am Karfreitag. War sie nicht selbst eine Betroffene, ist sie nicht auch selbst als Opfer anzusehen? Die Sünde der „Vielen“, die sich an Jesus austobt, ist Ursache auch ihrer Qualen. Doch nicht der Durst nach Rache beherrscht ihr Inneres, sondern der Durst nach Seelen; die Bitte des Sohnes an den himmlischen Vater doch zu verzeihen, ist auch ihre eigene Bitte, und ihr Wille wiedergutzumachen was fremde Sünde verschuldet hat, ist eins mit dem Sühnewillen Jesu, ihres Sohnes. Wenn Therese sich um das Seelenheil des Mörders Pranzini sorgt 5, sollte dann sie nicht in Sorge sein um das ewige Schicksal der Mörder ihres Sohnes und der Sünder der ganzen Welt? Und so darf man all jene fragen, die jetzt Entrüstung und Unrecht auf den Marktplatz tragen, wann sie denn das letzte Vaterunser für die Sünder, für die Täter gebetet haben.
In zeitgenössischen Debatten wird ganz außer Acht gelassen, dass sich jedwede Sünde kraft der ihr innewohnenden Feindseligkeit gegen Gott wendet; sie ist offensio Dei, Beleidigung der Göttlichkeit Gottes. Erst dann ist sie auch Unrecht am Nächsten. Gott selber ist das erste „Opfer“ aller Unrechtshandlungen, und was das heißt wird im Sterben des Sohnes am Kreuz in letzter Deutlichkeit sichtbar. Prävention muss dann aber auch heißen, dem dreimal heiligen Gott die Sünde zu ersparen und beizutragen, dass dem Schöpfer aller Dinge und dem Vater seiner Kinder die Ehre gegeben wird im Gehorsam gegenüber seinen Geboten. Man hat wohl zu viele Bücher gelesen und nicht genug Beichten abgenommen; nun weiß man nicht mehr, was die Sünde und was ein Sünder ist 6. In früheren Zeiten wären flammende Appelle zu Sühne und Gebet die Folge gewesen, Hirten und Herde hätten einander angeeifert mit den Worten: Kommt, wir kehren zum Herrn zurück! (Hos 6,1). Nun aber ruft man nach dem Lavabo des Pilatus und artikuliert angesichts der Vertuschungskeule eilends: „Ich doch nicht!“ Zwar lesen wir in der Hl. Schrift: Lasst uns also zu ihm vor das Lager hinausziehen und seine Schmach auf uns nehmen (Hebr 13,13), doch lässt das Betteln um gesellschaftliche Zustimmung das nicht zu: „Seht doch, wie eifrig wir bemüht sind, jedweden Missstand zu beseitigen!“ Das soziologisch verstandene Glaubwürdigkeitssyndrom hat nicht wenige Hirten befallen.
5. Der Gute Hirt
Wem sonst aber ist die Kirche verantwortlich und verpflichtet als ihrem Haupt? Allein der Bräutigam ist der Richter über die Braut. Darf sie aber dann den Sündenfall der Medienwelt gutheißen, deren Motive und deren Stil übernehmen, selber Anklage praktizieren und dies als Tugend ausgeben, dem Geist des Guten Hirten und der Sanftmut Jesu Christi untreu werden? Muss nun jeder, der die Botschaft Christi authentisch verkündigen will, der als Priester und Bischof in persona Christi zu handeln beauftragt ist, eine öffentliche Beichte ablegen und eine mediale Leibesvisite über sich ergehen lassen? Jedermann will über den Priester zu Gericht sitzen, und wenn da auch nur eine winzige Blöße entdeckt wird, fallen sie über ihn her als wäre er der abscheulichste Bösewicht. Dabei hat der Priester am allermeisten seine nächste Umgebung und seine Amtsgenossen zu fürchten 7. Der hl. Augustinus hätte da keine Chance mehr, und das Wort der Schrift, dass Gott das Schwache auserwählt, wäre seiner Irrigkeit überführt. Und doch: Es gibt die Realität von Bekehrung, es gibt die Macht der Gnade, die stärker ist als alles andere. Der Auferstandene hat dem Petrus das verheißene Amt nicht weggenommen mit der Begründung: „Die Wiederholung deines Versagens ist zu fürchten, für deine Wunde gibt es keine Heilung, ich kann nicht ausschließen, dass du rückfällig wirst“ (vgl. Joh 21).
So gilt das Wort des hl. Augustinus unverkürzt auch heute: Wehe auch dem ehrenwerten Menschenleben, wolltest Du es ohne Dein Erbarmen durchforschen! Aber weil Du mit unseren Vergehen nicht heftig ins Gericht gehst, hoffen wir in Zuversicht vor Dir zu bestehen 8. Muss nicht jeder mit diesem großen Bischof es so bekennen? Meine einzige Hoffnung ist Dein großes, großes Erbarmen! 9 Die Güte Gottes, auf die wir so sehr angewiesen sind, muss uns stets zu gütigem Handeln dem Nächsten gegenüber veranlassen. So lehrt es uns Jesus im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Mt 18,23-35). Nichts ist stärker (…) als barmherzige Güte! 10
Eine letzte Überlegung führt uns zum hl. Josef hin, der seine Verlobte nicht bloßstellen, sondern sich in aller Stille von ihr trennen wollte (vgl. Mt 1,19). Er hat eben nicht ein öffentliches Skandalgeschrei angestimmt und nicht lautstark verlangt, dass jetzt alles auf den Tisch kommen müsse. Und dann war alles ganz anders …! Nichts verletzt die Liebe so sehr wie die Beschuldigung des Nächsten11.
Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Die Unschuldsvermutung ist zu einem armseligen Stückchen Papier degeneriert, doch sollten wir wissen, dass damit auch ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit gefallen ist. Wer darf sich da noch über die Hexenprozesse der Inquisition ereifern? Das Aussprechen eines Verdachtes genügt, um jemanden gesellschaftlich zu ruinieren.
1 Vgl. Walter NIGG, Der Teufel und seine Knechte, Olten-Freiburg 1983, S.37. - 2 Ich bin die Kälte selbst. Vgl. Georges BERNANOS, Die Sonne Satans, Köln-Olten o.J., S.161. - 3 THERESIA VON JESUS, Weg der Vollkommenheit 18,5. - 4 JOHANNES CHRYSOSTOMUS, Über das Priestertum VI,12. - 5 THERESE VON LISIEUX, Selbstbiographische Schriften, Einsiedeln 111988, S.96-98 (Ms.A,45). - 6 BERNANOS, Sonne Satans S.267f. - 7 JOHANNES CHRYSOSTOMUS, Priestertum III,14. - 8 AUGUSTINUS, Confessiones 9,13. - 9 Ebd. 9,35. - 10 LEO DER GROSSE, Sermo 74, c.5. PL 54,400. – Vgl. Frederick William FABER, Von der Güte, Jestetten 1987. - 11 Pierre COSTE, Konferenzen des heiligen Vinzenz von Paul für die Barmherzigen Schwestern, Bd.I/1, Köln 1966, S.268.
Ildefons M. Fux OSB
CARITAS PIRCKHEIMER
Ein milder Brunnen der Liebe
Die Beschäftigung mit Caritas Pirckheimer, deren Seligsprechungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, führt uns in das 16. Jahrhundert zurück, in jene schicksalhafte Zeit der Glaubensspaltung und Verwirrung, die bis heute nachwirkt und von der Christenheit noch keineswegs „aufgearbeitet“ und „bewältigt“ ist. Auch Caritas erinnert an die Wunde verlorener Einheit im Glauben, doch ihre Gestalt, überragend und berührend, leuchtet noch im Dunkel der Gegenwart und schenkt uns Orientierung. Nicht nur ihr Wort, sie selbst ist eine Gabe, für die wir nicht genug danken können.
Am 21. März 1467 durfte sich das angesehene und wohlhabende Ehepaar Pirckheimer in Eichstätt über die Geburt des ersten Kindes freuen, einer Tochter, die, noch am selben Tag getauft, den Namen ihrer Mutter Barbara erhielt. Weitere acht Töchter und drei Söhne sollten folgen. Im Alter von zwölf Jahren wurde Barbara den Klarissen in Nürnberg zur Erziehung übergeben. Im Kreise dieser ebenso frommen wie gelehrten Nonnen lernte sie Latein und erwarb sich eine gediegene humanistische Bildung. Hier reifte auch ihr Entschluss, sich selber Gott im Ordensstand zu weihen. 1483, im Alter von 16 Jahren, wurde sie als Novizin eingekleidet und erhielt den Namen Caritas. Ihr Bruder Willibald brachte sie in Kontakt mit den führenden Humanisten ihrer Zeit, und einem Brief an Konrad Celtis (1459-1508) entnehmen wir, dass sie ihren Klosternamen durchaus als Lebensprogramm verstand. Celtis widmete ihr übrigens ein lateinisches Gedicht, Erasmus von Rotterdam (1466/67-1536) und Thomas Morus (1477/78-1535) schätzten sie. Die Predigten ausgezeichneter Priester, die die Heilige Schrift erläutern und die Psalmen und Hymnen meditieren, schreibt sie mit und wird bald selber Novizenmeisterin und Lehrerin an der Klosterschule. Der 20. Dezember 1503 ist ein Schicksalstag für Caritas: Sie wird einstimmig zur Äbtissin des Konventes gewählt, dem etwa 60 Nonnen angehören. Es folgen friedliche Jahre.
Die Zeit, da das Gold im Feuerofen geprüft werden soll, beginnt für die Äbtissin mit dem ersten öffentlichen Auftreten Martin Luthers im Jahr 1517. Dessen neue Lehre wird nun auch in Nürnberg diskutiert, die Scheidung der Geister nimmt ihren Anfang. Zu Neujahr 1521 schreibt Caritas an ihre Nichte in Augsburg, sie möchte doch ja bei ihrem alten, wahren und gerechten Glauben bleiben. Aufregung bei den Neuerern erzeugt ein Brief, den sie an den katholischen Theologen Hieronymus Emser (1478-1527) richtet – in der Freude darüber, dass doch noch ein Mensch auf Erden ist, der die Wahrheit kennt und sich getraut sie zu sagen und zu schreiben. Im August 1523 ereignet sich in der Klosterkirche der erste Fall von Predigtstörung durch einen Messerschmied, der dem Franziskaner auf der Kanzel offen widerspricht.
Am 21. März 1525, dem Geburtstag der Äbtissin, wurde die letzte hl. Messe in der Klosterkirche gefeiert. Nürnberg hatte beschlossen, eine protestantische Stadt zu werden. Seit dieser Zeit gab es für die Klarissen keine hl. Messe mehr, keine hl. Kommunion, keine Beichte, keine Sterbesakramente, keine Unterweisung im Glauben. An Stelle der Söhne des hl. Franziskus schickte der Stadtrat den Nonnen nun hochgelehrte, köstlche Prediger, verständige und erfahrene Männer, deren Auslassungen auf der Kanzel der Kirche die Schwestern anzuhören nun gezwungen waren. Caritas und ihren Mitschwestern wäre es lieber gewesen, ihr schicket einen Henker ins Kloster, der uns allen die Köpfe abschlüg, als dass ihr uns betrunkene, unkeusche Pfaffen schickt … Die Stadtväter sorgten sich, ob die Nonnen wohl alle bei diesen Predigten anwesend wären; ob sie nicht etwa Wolle in die Ohren gestopft hätten. Und sogar dies ereignete sich einmal: Es flogen Steine in den Schwesternchor. Nun schien es den Neugläubigen ein gottwohlgefälliges Werk zu sein, die Nonnen zu beleidigen und zu belästigen; vielen war es unerträglich geworden, um Mitternacht das Glöcklein zu hören, dass den Gesang der Mette ankündete.
Am Vigiltag vor Fronleichnam 1525 erreichen die Gewalttätigkeiten ihren Höhepunkt, als drei Schwestern von ihren Eltern aus der Klausur gezerrt werden, die jungen Nonnen sich aber mit aller Kraft dagegen wehren. Mehrere Stunden lang dauert das Handgemenge unter Schreien und Fluchen der Eindringlinge. Noch in der Kirche werden Klara und Margareta ihrer Ordenskleider beraubt und schließlich in die bereitstehenden Wagen gesetzt, um sie nach Hause zu bringen. Merkwürdiger Weise wurde gerade in dieser Zeit sehr viel von der „Freiheit eines Christenmenschen“ gesprochen. Die entführten Nonnen aber redeten nur Gutes von dem Kloster, das ihnen so lange Heimat gewesen war. Alles in allem: Eine einzige Schwester ließ sich betören und verließ den Konvent, alle anderen blieben ungeachtet so vieler Schikanen treu. Solche Vorkommnisse waren auch dem Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) zu viel. Nach einem Gespräch mit Äbtissin Caritas sagte er dem Stadtrat offen, dessen Verhalten sei große Sünd gewesen. Doch die Auswirkungen solcher Exzesse waren schmerzlich: Es gab keine Kinder mehr, die man dem Kloster anvertraut hätte; es gab keine Arbeitsaufträge mehr, - wer wollte noch Paramente anfertigen lassen? Die Pächter weigerten sich, den vereinbarten Zins zu zahlen. Die Nonnen lernten nun auch den Hunger kennen und litten geistliche wie materielle Not, ausgeschlossen von der Gesellschaft und ohne die Gnadenmittel der Kirche.
Jetzt war für Caritas und ihre Mitschwestern die Zeit des reinen Glaubens gekommen. In der Treue zur einen, heiligen, katholischen Kirche lehnten sie die Feier des protestantischen Abendmahls ab und pflegten die „geistliche Kommunion“: So ich dich leiblich nicht empfangen kann, bitte ich dich, Herr Jesu Christe, dass du dich mir geistig gebest und ich darin nicht weniger Frucht empfange als durch den leiblichen Genuss. Sie wollten nicht bei jenen beichten, die selber keinen Glauben an die Beichte haben. Mit Eifer lasen sie die Heilige Schrift: Tag und Nacht, im Chor, bei Tisch, lateinisch und deutsch, in der Gemeinde und eine jede für sich, wie sie will, und sie lasen das Wort Gottes in jener Weise, die die heilige, christliche Kirche bewahrt, nicht nach der Erklärung eines fremden Verstandes, die von der heiligen Kirche verworfen und verboten ist. Der Konvent hielt fest an Klausur und Ordenskleid.
Caritas sah klar, wozu es führt, wenn keine Ordnung eingehalten wird, und dass es niemanden gebe, der mehr verachtet werde als ausgetretene Nonnen und Mönche. Sie blieb geduldig, sie blieb sanft und ohne Groll, auch wenn sie hören musste, Nonnen wären schlimmer als Dirnen. Nie lässt sie sich den Stil ihrer Feinde aufzwingen. Sie weint und sagt selbst, das viele Weinen koste ihr noch das Augenlicht, aber sie verzeiht und trägt nicht nach. Sie kann sogar den Lehren der Neuerer da und dort noch Positives abgewinnen. Sixtus Tucher, Propst von St. Lorenz in Nürnberg, der ihr Treue und Achtung bewahrt hat, schrieb ihr deshalb: Du trägst den Namen Caritas und nicht umsonst. Du bist für Deine Schwestern ein milder Brunnen der Liebe.
Am 19. August 1532 durfte Mutter Caritas heimgehen zu Gott, der die Liebe ist. Ihren Ruf, ein Spiegel aller Geistlichkeit und eine Liebhaberin aller Tugend zu sein, hat sie zurückgelassen. Ihr Grab, lange Zeit verschollen, wurde 1959 wieder aufgefunden.
Den entscheidenden Schlag gegen das Kloster führte die Stadtregierung aber, indem es die Aufnahme von Novizinnen untersagte. Nun lebte der Konvent seinem Aussterben entgegen. Erst im Jahr 1591 war es soweit, und abgesehen von einer einzigen Ausnahme waren alle Töchter der hl. Klara dem katholischen Glauben treu geblieben. Danach diente die Kirche dem evangelischen Gottesdienst, die umfangreichen Klosterbauten wurden als Unterkunft für Pastorenwitwen und später auch als Leihhaus genutzt, bis sie 1892 dem Bau einer Straße weichen mussten.
Caritas Pirckheimer hat uns ihr handgeschriebenes Gebetbuch hinterlassen, in dem wir lesen: Die Güte, Herr, die Güte, Zucht und Weisheit lehre mich, denn deinen Geboten habe ich geglaubt. Die Nonnen von St. Claren aber schrieben nach dem Heimgang ihrer Äbtissin in den Nekrolog des Klosters: Requiescat inter amplexus Domini Sponsi, Domini Jesu. – Sie ruhe in den Umarmungen des Herrn und Bräutigams, des Herren Jesu. Wir sprechen gern und dankbar unser Amen! dazu.