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Gefaengnis Fresnes Paris

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mont Valerien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stacheldrahtseminar Chartres

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

Zeitschrift
GOTTGEWEIHT

Jahrgang 23, 2010

Heft 1

Gottgeweiht Heft 2 2010Aus dem Inhalt:
Ildefons M. Fux OSB, Franz Stock (1904-1948)

Katharina M. Bommes, Die Herrlichkeit Gottes
           und die Würde des Menschen
Ildefons M. Fux OSB, Das Herz des Hohenpriesters
Am Ölberg
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WENN ES GOTT NICHT GIBT

Wenn es Gott nicht gibt, kann auch der Mensch nicht länger Bild und Gleichnis Gottes genannt werden, und alles Sprechen von menschlicher Würde wird obsolet angesichts des Grauenhaften, das die Geschichte der Menschheit begleitet. Homo homini lupus – ein Mensch wird dem anderen zum Wolf. In dunkler Zeit war es ein Priester namens Franz Stock, der im Glauben an Gott und an die Würde des Menschen Unglaubliches an liebender Achtung geleistet hat. Ihm sei der erste Beitrag dieses Heftes gewidmet. Menschliche Würde ist auch das Thema des zweiten Aufsatzes über einen der schönsten Psalmen; und das Herz unseres Hohenpriesters ist es, das vorzüglich im Inneren unserer Priester schlagen will. Gerade der Priester ist ja dazu berufen Zeugnis zu geben für Gott und dessen abgrundtiefe Liebe zu den Menschen.

Der Lesestoff unseres Heftes beginnt diesmal aber nicht wie sonst auf der dritten Seite. Diese trägt einen Text, der uns Anlass zu großer Freude gibt, die wohl viele dankbar teilen werden, die mit Kardinal Meisner übereinstimmen. (mehr...)

 

Jesus hat während seines Lebens, seiner Todesangst am Ölberg

und seines Leidens uns alle und jeden einzelnen

gekannt und geliebt.

(KKK 478)


 

 

Ildefons M. Fux OSB

ABBÉ FRANZ STOCK (1904-1948)

Engel des Friedens. Interpret priesterlicher Hingabe

 

Er hieß Franz Stock und war Priester Jesu Christi. Mit dieser lapidaren Feststellung leitete Joseph Folliet 1948 den Nachruf auf seinen Freund ein. Er tröstete und half, so lesen wir weiter, er bereitete die große Reise vor für gläubige Katholiken, für Reumütige aller Art, auch für Kommunisten. Er stärkte sogar die unglücklichen Juden und las ihnen die schönsten Stellen aus dem Alten Testament vor. Von diesem Priester soll nun die Rede sein.

Er wurde am 21. September 1904 als erstes von 9 Kindern in Neheim, Westfalen, geboren. Sein Vater war Arbeiter in einer Lampenfabrik. Die Kinder wuchsen in einem katholisch geprägten Milieu auf; das Wort des Pfarrers galt viel. Als 13jähriger wechselte Franz in das Neheimer Realgymnasium über und offenbarte sein Talent für Zeichnen, Malen und für die französische Sprache. Noch als Gymnasiast machte er Bekanntschaft mit der Deutschen Jugendbewegung und schloss sich den „Quickbornern“ an. Zu Ostern 1926 bestand er das Abitur (Matura). Der Jahrgang zeigte die erlangte Reife mit einer Postkarte an: Vorne die stilisierte Silhouette von Schmied und Gehilfen an der Esse, gezeichnet von Franz Stock; darüber der Satz: „Schmiede, Deutscher, dein Glück!“

Noch im selben Jahr trat er in das Paderborner Priesterseminar ein und bald darauf nahm er auch, mit etwa 800 anderen Deutschen, an einem Friedenstreffen in Bierville nicht weit von Paris teil: „Friede durch die Jugend“. Er begann das Polnische und das Russische zu erlernen und erhielt 1928 die bischöfliche Erlaubnis, seine theologischen Studien in Paris fortzusetzen und dies am ruhmreichen „Institut catholique“ und als erster Deutscher nach dem Krieg. Er wohnte im „Seminaire des Carmes“, in dem während der Französischen Revolution so viele Priester hingerichtet worden waren; man hatte die alten Zellen so gelassen, wie sie waren, die Schwerter waren noch zu sehen, und jeder Seminarist betrat mit ehrfürchtigem Schauder diese Stätte heldenmütigen priesterlichen Sterbens.

Am 12. März 1932 wurde Stock zum Priester geweiht und lernte als Kooperator die Seelsorge unter Industriearbeitern kennen – und ebenso die aufstrebende Macht des Nationalsozialismus. Da erin­nerte sich Kardinal Verdier († 1940), der zuvor Regens des Pariser Seminars gewesen war, seines früheren Gastalumnen und erbat sich Stock als Seelsorger für die in Paris lebenden Deutschen. Sein Heimatbischof stellte ihn dazu frei, und im September 1934 finden wir ihn bereits in der französischen Hauptstadt. Als Stützpunkt dienten einige gemietete Räume in der Rue Lhomond, wo er eine Kapelle einrichtete, desgleichen einen Vortragssaal für Veranstaltungen, eine Herberge für stellensuchende deutsche Mädchen und nicht zuletzt seine eigene Wohnung. Das konnte nicht geschehen ohne finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Botschaft. Die politischen Verhältnisse verschlechterten sich ganz allgemein und da und dort geriet Stock in den Verdacht, ein Söldling des neuen Regimes in Berlin zu sein. Unbeirrt davon suchte er auszugleichen, Verständnis zu wecken „hüben und drüben“ und das Christliche über das Nationale zu stellen. Bald trafen auch die ersten politischen Flüchtlinge aus dem „Reich“ an der Seine ein, und Stock unterstützte sie mit aller Vorsicht. Er verabscheute es, gegen sein eigenes Volk zu agitieren, wie ihm ebenso jedwedes Unrecht verhasst war. Seine freie Zeit verbrachte er im „Louvre“ und mit dem Studium französischer Literatur. Am 6. Dezember 1938 wurde eine „Deutsch-französische Freundschaftserklärung“ unterzeichnet, und doch stand der Krieg bereits vor der Türe: Am 26. August, kurz nach Mitternacht, erging die telefonische Weisung der Botschaft, sich sofort reisefertig zu machen und Paris zu verlassen. Erst im Oktober 1940, nach dem „Sieg im Westen“, wird er in die Rue Lhomond zurückkehren.

Jetzt bestand seine Gemeinde aus Uniformierten. Er selbst war Standortpfarrer von Paris im Rang eines Majors, trug jedoch keine Uniform. Sein bevorzugtes Kleid war die hochgeschlossene und über die Knie reichende „Soutanelle“. Deutschland siegte an allen Fronten, doch Stock ahnte, dass man eines Tages die Haken-kreuzfahnen vom Arc de Triomphe wieder herunter­holen würde. Nicht mitzu-hassen, mitzulieben bin ich da, hatte einst Antigone im antiken Drama gesagt, und Reinhold Schneider hatte Stock schon zu Anfang 1940 geschrieben: Allem Ver-bindendem müssen wir uns mit ganzer Kraft widmen.

In diesem Sinn wirkte er unter den deutschen Soldaten, zeigte Lichtbilder von den Pariser Kirchen, hielt Führungen durch das „Quartier latin“ und durch die „Cité“. In der deutschen Schule gab er Religionsunterricht und predigte – auch über den hl. Erzengel Michael, der sowohl Patron der Deutschen als auch der Franzosen ist. Doch schon begann sich der französische Widerstand, die „Resistance“, zu formieren und die Pariser Gefängnisse füllten sich mit politischen Häftlingen. Es waren die Zuchthäuser Fresnes, Cherche-Midi, La Santé und La Pitié. Allein Fresnes besaß 1.500 Zellen, die jeweils mit fünf bis sechs Personen belegt waren.

Die Besatzungsbehörden verweigerten generell französischen Priestern den Zutritt. Da erinnerte man sich des Deut­schenseelsorgers Stock und seiner perfekten Französischkenntnisse und betraute ihn mit der Aufgabe der Gefangenenpastoral. Stock war dazu bereit und hatte in Kriegspfarrer Loevenich einen treuen Helfer – bis dieser wegen zu großer Freundlichkeit gegenüber den Gefangenen strafversetzt wurde. Die Aufgabe war tatsächlich mehr als delikat: Zum Ressentiment gegenüber dem Priester gesellte sich der Vorbehalt gegen den Deutschen. Die geduldige und freundliche Art Stocks, seine Soutane mit der Rotkreuz-Binde, sein ausgezeichnetes Französisch überwand zumeist diese Barrieren. Unter den Bewachungssoldaten gab es Scheusale, aber ebenso auch diskrete Helfer, auf die man sich verlassen konnte. Um den Widerstand der Häftlinge zu brechen und sie bei den Verhören gefügig zu machen, war ihnen – zusätzlich zu den bereits angedeuteten Haftbedingungen – eine dreifache Strafe auferlegt: Kein Familienkontakt, Post- und Leseverbot, keine Pakete.

Gerade hier begann Stock die Gratwanderung erbarmender Liebe: Er feierte nicht nur die hl. Messe in der Gefängniskapelle, hörte Beichte, machte Zellenbesuche; er wurde zu einem Meister des Gedächtnisses und des Schmuggelns. Unter seinem Mantel bzw. unter seiner Soutane, in seiner berühmt gewordenen Tasche wusste er Familienfotos zu verbergen, Rosenkränze, Lebensmittel, Bibeln, Briefe und Zahnpaste. Wenn er mit einem Häftling betete, geschah dies etwa so: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, Ihre Frau lässt Sie grüßen, der Herr ist mit dir, den Kindern geht es gut ...“ Zweifellos wurde er beobachtet, aber auch gedeckt. Als er einmal von einem anderen Zuchthausgeistlichen begleitet war, flüsterte er in einem kurzen, geeigneten Augenblick dem Gefangenen zu: Aufpassen! Der deutsche Geistliche ist ein Funktionär der Nazis. Sie dürfen ihm um keinen Preis etwas sagen, auch nicht in der Beichte! ...

Die Lage verschärfte sich auch für Stock, als die Hinrichtungen begannen, denn es war nun ebenso seine Aufgabe, die Verurteilten auf das Sterben vorzubereiten. Die erste Erschießung erfolgte am 23. Dezember 1940. Bald waren die Gruppenerschießungen die Regel. Noch schlimmer war es um die Lage der Geiseln bestellt, denn sie konnten jederzeit und ohne jedes Verfahren exekutiert werden. Am 21. Oktober 1941 etwa wurden 50 Geiseln erschossen. Der telefonische Deckname, den die deutschen Behörden für solche Aktionen gebrauchten, lautete: „Sportfest“. Zumeist fanden die Exekutionen auf dem „Mont Valerien“ statt, einer alten Festung westlich von Paris.

Stock feierte die hl. Messe in den Zellen der Todeskandidaten, las aus der Hl. Schrift vor, sprach mit den Einzelnen, betete mit ihnen, durchwachte oft die letzte Nacht mit ihnen wie der Engel des Ölbergs, begleitete sie auf der Fahrt zum Mont Valerien und begrub dann die Toten auf den verschiedensten Friedhöfen rund um Paris. Zuvor hatte er noch ihre letzten Wünsche entgegengenommen, Grüße an die Hinterbliebenen, kleine Andenken und Habseligkeiten aller Art, damit er sie den Frauen, Bräuten, Kindern und Freunden aushändige. Und das tat er in aller Diskretion und Gewissenhaftigkeit, bis zur Aufopferung seiner selbst.

Tagtäglich konfrontiert mit Unrecht und Tod, die Stunden des Tages in Angst und Not zubringend, war es ihm nicht mehr gegeben, in den Nächten Erholung zu finden. Ich kann nicht mehr schlafen. Der so Feinfühlige war nun selber auf dem Ölberg und nahm an der Agonie Christi teil. Bedrückt und zer­schlagen machte er sich in der Frühe des nächsten Tages auf den Weg, um zu jenen zu gelangen, die schon auf ihn warteten. Er, der so vielen Trost brachte, war nun selber ohne Trost. Wen wundert es, dass auch seine Herzschwäche immer mehr zunahm? Nur selten gelang es ihm, sich in die „Bibliotheque Nationale“ zu flüchten, um für einige Stunden zu vergessen und auf andere Gedanken zu kommen. Es waren etwa 1.700 Men-schen gewesen, die er zur Hinrichtung begleitet hatte, ein „Engel des Friedens“, der selbst eines stärkenden Engels so sehr bedurft hätte. Reinhold Schneider hat zu Recht seine Situation mit jener Friedrich Spees zur Zeit der Hexenprozesse verglichen.

Es kam der Tag, da die Hakenkreuzfahnen tatsächlich vom Arc de Triomphe verschwanden. Die Wehrmacht räumte Paris, doch Stock entschloss sich zu bleiben. Im Lazarett La Pitié lagen viele schwerverwundete deutsche Soldaten, die nicht transportfähig waren und denen gegenüber er sich in der Liebe Christi als Priester verpflichtet sah. So geriet er in amerikanische Gefangenschaft und in das Lager La Haye du Pruits nahe bei Cherbourg in der Normandie, das heillos überfüllt war und in dem die härtesten Lebensbedingungen herrschten. Dort erhielt er die Gefangenennummer US/PWIB31G/820374. Das Lager bestand nur aus Zelten; eines davon war als Kapellenzelt dazu bestimmt, der Seelsorge zu dienen, und hier lernte Stock auch den Diener Gottes P. Petrus Pavlicek OFM, den Gründer des Rosenkranzsühnekreuzzuges, kennen.

Im März 1945 erhielt er den Brief eines ehemaligen Häftlings von Fresnes (Zelle 328). Abbé Georges Le Meur fragte ihn, ob er bereit wäre, die geistliche Bildung und Ausbildung der gefangenen deutschen Theologen zu übernehmen, und Stock sagte zu. Le Meur hatte unter der deutschen Besatzung Außerordentliches mitgemacht, konnte aber im Juni 1945 den Satz niederschreiben: Wir haben heute kein Recht mehr, uns über die deutschen Konzentrationslager zu beklagen, wenn wir die deutschen Kriegsgefangenen derart behandeln. Die Lagerverhältnisse im „Theologenseminar“ von Orléans waren tatsächlich katastrophal, die Verpflegung grauenhaft schlecht. Wie soll man da studieren? Langsam vermehrten sich die Liebesgaben französischer Klöster, doch erst der 17. August 1945 leitete eine gewisse Wende ein: Das „Seminar“ mit seinen 101 Theologen wurde nach Le Coudray bei Chartres verlegt (Block VI des Camps 501). Der Kommandant des Lagers hieß sie herzlich willkommen, stellte die Theologen unter den Schutz der Gottesmutter und erklärte zugleich: Wir wissen nicht, wie wir Sie ernähren sollen. Es fehlte an allem: an Dozenten, an Büchern, an Öfen, an Tischen. Man konnte auch deshalb nicht schreiben, weil im Winter 1945/46, der sehr streng war, die Finger einfach zu steif wurden. Die Zahl der Seminaristen war bereits auf 375 angewachsen. Regens Stock erkrankte neuerlich an Herzinsuffizienz und erholte sich nie mehr ganz.

Besuche hochgestellter Personen waren für alle, im Besonderen aber für den Regens des „Stacheldrahtseminars“ eine große Freude. Nuntius Angelo Roncalli umarmte Stock bei der Verabschiedung, Kardinal Suhard, von 1940-1949 Erzbischof von Paris, dankte ihm in bewegenden Worten und der damalige Heeresminister Edmond Michelet sagte zu Stock: Sie haben mich in Fresnes besucht und getröstet. Heute komme ich, um Ihnen meinen Gegenbesuch zu machen. Am 5. Juni 1947 wurde das Lager aufgelöst, nachdem es insgesamt 949 Seminaristen, Brüder, Priester und Dozenten „beherbergt“ hatte.

Und wieder blieb Stock in Paris zurück, wollte er doch Priester für die freien Arbeiter aus Deutschland sein. Doch er war zunehmend einsam, müde, hilflos, körperlich und seelisch erschöpft. Die Last, die ihm der Hohepriester auferlegt und die er tapfer getragen hatte, war mehr als schwer gewesen. Im Alter von nur 43 Jahren schied er am 24. Februar 1948 aus diesem Leben. Seit dem 16. Juni 1963 ist er in der Kirche zum hl. Johannes dem Täufer in Chartres begraben. Seine Parte enthält die folgenden Worte:

 

Franz Stock, Priester Jesu Christi, Gefährte des hl. Franz.

Geboren in Deutschland, lebte und starb er in Frankreich,

wo er Deutschen und Franzosen,

Christen, Juden und Ungläubigen beistand,

ein Bote des Friedens mitten im Krieg,

ein Zeuge göttlicher Liebe in einer Welt voller Hass.

 

Das Seligsprechungsverfahren wurde am 14. November 2009 in Paderborn eröffnet.

 

LITERATUR:

Erich KOCK, Abbé Franz Stock. Priester zwischen den Fronten, Mainz 1996. – Franz Stock. Brückenbauer zwischen Deutschland und Frankreich, in: Betendes Gottesvolk. Zeitschrift des Rosenkranzsühnekreuzzuges, Wien 1998, Nr.196, S.6f. – Rundbrief der Abbaye Saint-Joseph de Clairval vom 24. Okt. 2007. – Harm KLUETING, Contra spem sperare. Zwei deutsche Priester in Frankreich. Abbé Franz Stock (1904-1948) und Erzabt Raphael Walzer OSB (1888-1966). Theologisches 39, 2009, Sp.255-266. – Walter NIGG, Friedrich von Spee. Ein Jesuit kämpft gegen den Hexenwahn, Paderborn 1991

 

 

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